Scherenschnitt, Zugriffsrecht und Kind auf dem Schoß – Homeoffice schafft Augenhöhe

Wir haben uns überlegt, mit dieser Serie aus unseren Erfahrungen im Homeoffice zu berichten. Für meinen Teil schaffe ich es gar nicht, die ganzen Erkenntnisse und Erlebnisse in einen Blogartikel zu pressen. Deshalb: Mehrere Artikel von mir, heute geht’s los!

Wir haben schon lange Mitarbeiter im Team, die ausschließlich remote arbeiten. Die grundsätzliche Organisation von Kommunikation und Kollaboration war uns zum Einschlag des ersten Lockdowns im März 2020 daher nicht ganz neu, wenn auch nicht im notwendigen Umfang. Neu war aber, dass wir mit Kunden plötzlich nicht mehr in unseren oder deren Räumlichkeiten zu Projekten konferierten und nicht mehr mit gutem Kaffee, Bio-Keksen und Agenturfeeling die Gespräche positiv aufladen konnten. Just zu diesem Zeitpunkt standen wir am Beginn von mehreren, für uns wirklich großen Projekten, die eigentlich noch einiges an Reise- und Kommunikationstätigkeit bedeutet hätten. Ich war als Gründer der Firma und Geschäftsführer, natürlich auch im Rahmen meiner ganz persönlichen Verunsicherung, besonders froh, dass wir diese Beauftragungen gesichert hatten und die Kunden die Projekte trotz Corona-​Lockdown in jedem Fall umsetzen wollten. Hatten doch einige andere Kunden Projekte gestoppt und abgesagt, sei es wegen abgesagter Messen oder um einfach nur die eigenen Pfründe gegen die kommenden Unwägbarkeiten zu schützen.

Und so begaben wir uns in die vielfältigen Abenteuer der Onlinekommunikation und durften Deutschland als Drittweltland digitaler Infrastruktur mit voller Breitseite erleben. In dem Dorf, in dem ich wohne, gab es jahrelang gar kein Internet und später ein rudimentäres, sehr schwaches DSL-Angebot. Da dies keiner ernsthaft ändern wollte, gab es vor Jahren schon private Bemühungen im Dorf, über eine imposante, private Richtfunkstrecke und ein Dorf-WLAN für die Anwohner und Unternehmen den Anschluss an den Rest der Welt zu ermöglichen. Mit Erfolg, ich bin daher dem Boerde.DE e.V. aus Magdeburg mit seinen Mitgliedern und den Aktiven hier im Dorf (Danke Mario! Danke Hagen! Danke Bernd für den Verteiler auf Deinem Dach!) zu tiefstem Dank verpflichtet. Ich hatte schnelles und zuverlässiges Internet, zum Glück! Die Kollegen aus den Metropolen im Westen und Süden Deutschlands mussten da in den Videokonferenzen öfter als ich die Kamera ausschalten, um Bandbreite für die Übertragung zu sparen. Übrigens im Gegensatz zu den rumänischen Kollegen, die hatten sowohl in der Agentur als auch im Homeoffice immer schnelle, zuverlässige Datenraten.

Und so haben die meisten von uns gelernt, dass man mit Licht im Rücken vor der Kamera zum Scherenschnitt mutiert, dass das „muten“ des Mikrofons zur allgemeinem Audioqualität beitragen kann und dass jede weitere Kommunikationslösung am PC oder Mac stets neue Zugriffsberechtigungen benötigt. „Hallo? Hallo? Hört man mich?“ „Ja, wir hören sie!“ „Hört man mich? Hallo?“ „Offensichtlich hört er uns nicht. Sie müssen die Tonausgabe in den Einstellungen überprüfen!“ „Hallo?“ „Ach, er hört uns ja nicht. Ich rufe ihn kurz an, Moment.“ Wer kennt das heute nicht. Und ich habe von wichtigen Menschen die Kinder kennenlernen dürfen, jedenfalls kurz, auf Papas Schoß im Homeoffice über die Webcam oder brüllend akustisch im Hintergrund. Und die Katze. Und den renitent klingelnden Amazon-Boten. Und ich habe die Frau des Vorstands rufen hören, dass das Essen fertig sei. Es menschelte digital allerorts. Und irgendwie haben sich alle bemüht, mit der Lage bestmöglich umzugehen. So muss es sich anfühlen, wenn man mit fremden Menschen in einer Almhütte eingeschneit ist oder in einem Fahrstuhl steckenbleibt. Menschlich, ob der Lage unfreiwillig komplett auf Augenhöhe. Und genau diese Projekte waren jeweils erfolgreich und die Kunden hochzufrieden, trotz aller Unsicherheit, das weiß ich heute.

Die wichtigste Erkenntnis für mich: Augenhöhe schadet keinem professionellen Projekt, ganz im Gegenteil. Mir ist das nicht neu, im Gegenteil, aber ich freue mich, dass wir alle auf diese Weise ein Stückchen schlauer werden durften.