Warum ist Barrierefreiheit jetzt ein Thema?

Ab Mitte 2025 treten in der EU neue Regelungen zur digitalen Barrierefreiheit in Kraft. Unternehmen, die digitale Services oder Produkte anbieten, müssen sicherstellen, dass ihre Webseiten und Anwendungen barrierefrei nutzbar sind.
Viele Unternehmen fragen sich: "Müssen wir jetzt alles umbauen?" oder "Wie viel Aufwand bedeutet das für uns?" Die gute Nachricht: Es gibt praktikable Wege, die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen, ohne unnötige Ressourcen zu verbrennen. Wir zeigen Ihnen, wie Sie das Thema effizient und zielführend angehen.
Was bedeutet digitale Barrierefreiheit?

Digitale Barrierefreiheit bedeutet, dass Webseiten und Anwendungen so gestaltet sind, dass sie von allen Menschen genutzt werden können – unabhängig von individuellen Einschränkungen.
Das betrifft vor allem Menschen mit Seh-, Hör-, Motorik- oder kognitiven Beeinträchtigungen. Aber auch ältere Menschen oder Nutzer mit temporären Einschränkungen profitieren davon.
Technische und gestalterische Anpassungen führen nicht nur zur gesetzlichen Konformität, sondern verbessern auch die allgemeine Nutzererfahrung, steigern die Verweildauer auf der Website und können sich positiv auf das Suchmaschinenranking auswirken.
Wer ist von der EU-Gesetzgebung konkret betroffen?
Die EU-Richtlinie 2019/882 (European Accessibility Act) legt Mindestanforderungen an barrierefreie digitale Produkte und Dienstleistungen für alle EU-Mitgliedsstaaten fest. In Deutschland wurde diese Richtlinie durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) umgesetzt, das konkrete Vorgaben und Sanktionen definiert.
Betroffene Gruppen im Überblick:
- Öffentliche Stellen:
Diese müssen bereits seit längerem hohe Barrierefreiheitsstandards einhalten. - Unternehmen mit digitalen Angeboten:
Betriebe, die digitale Dienstleistungen oder Produkte anbieten, sind verpflichtet, bis zum 28. Juni 2025 die Barrierefreiheit sicherzustellen.- Hinweis: Reine Informationswebsites sind in der Regel ausgenommen – ausgenommen sind jedoch solche, die interaktive Funktionen wie Kundenportale oder Terminbuchungen enthalten.
- Kleinstunternehmen (weniger als 10 Mitarbeiter und maximal 2 Mio. Euro Jahresumsatz oder Bilanzsumme):
- Bei Dienstleistungen:
Kleinstunternehmen, die ausschließlich digitale Dienstleistungen anbieten, sind von den Anforderungen des BFSG ausgenommen. - Bei digitalen Produkten:
Liefern sie hingegen digitale Produkte, die explizit in einer gesetzlichen Produktliste aufgeführt sind, gelten die Barrierefreiheitsanforderungen unabhängig von Mitarbeiterzahl und Umsatz.
- Bei Dienstleistungen:
Abgrenzung: Digitale Dienstleistungen im Sinne des BFSG (barrierefreiheitsrelevant)
Digitale Dienstleistungen sind nach BFSG diejenigen, die online erbracht werden und eine direkte Interaktion mit dem Kunden ermöglichen. Dazu gehören insbesondere:
- E-Commerce-Dienste: Online-Shops, Bestell- und Buchungssysteme
- Bank- und Finanzdienstleistungen: Online-Banking, elektronische Zahlungssysteme
- Telekommunikationsdienste: Anbieterportale für Kundenverwaltung und Verträge
- E-Ticketing & Reisebuchung: Websites oder Apps für Ticketkäufe (ÖPNV, Bahn, Flug)
- E-Government & Behördenservices: Online-Antragsverfahren oder Behördenportale
- Streaming & Medienportale: Video-on-Demand-Dienste, E-Books, digitale Medienangebote
- Software & Apps, die der Öffentlichkeit angeboten werden: Insbesondere, wenn sie interaktive oder transaktionsbasierte Funktionen beinhalten
👉 Entscheidendes Merkmal: Die digitale Dienstleistung ist nicht nur eine statische Informationsquelle, sondern ermöglicht dem Nutzer eine aktive Transaktion oder Interaktion.
Abgrenzung: Digitale Services / Inhalten (nicht direkt BFSG-relevant)
Es gibt zahlreiche digitale Angebote, die zwar öffentlich zugänglich sind, aber keine digitale Dienstleistung im Sinne des BFSG darstellen. Dazu zählen:
- Klassische Unternehmenswebsites: Seiten, die nur statische Informationen bereitstellen (z. B. Unternehmensvorstellung, Öffnungszeiten, Referenzen)
- PDF-Downloads ohne interaktive Funktionen: Falls sie nicht für eine Transaktion oder einen Antrag erforderlich sind
- Produktpräsentationen ohne direkte Bestellmöglichkeit: Katalogseiten oder Broschüren
- Social-Media-Kanäle: Unternehmensseiten auf Facebook, LinkedIn etc. fallen nicht unter das BFSG
- Websites, die nur Werbung oder Imagepflege betreiben: Reine Marketingseiten ohne Buchungs- oder Interaktionsmöglichkeit
👉 Entscheidendes Merkmal: Diese Angebote dienen nur der Information, aber nicht der direkten Abwicklung von geschäftlichen oder administrativen Prozessen.
Welche Mindestanforderungen gibt es?
Minimal gefordert sind grundlegende Maßnahmen, die sich an den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) orientieren, um Barrieren zu reduzieren und die Nutzung für alle Menschen zu erleichtern. Diese Richtlinien definieren klare Anforderungen in den Bereichen Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit, Verständlichkeit und Robustheit. Dazu gehören:
- Ausreichende Farbkontraste, um Texte und Inhalte gut lesbar zu machen
- Verständliche Strukturierung von Inhalten, etwa durch sinnvolle Überschriften und Absätze
- Alternativtexte für Bilder, damit auch sehbeeinträchtigte Nutzer die Inhalte erfassen können
- Funktionierende Tastatur-Navigation, um die Bedienung ohne Maus zu ermöglichen
- Barrierefreie Einbindung von PDF-Dateien, durch strukturierte Dokumente und Texte, die von Screenreadern gelesen werden können
- Barrierefreie Videos, mit Untertiteln, Audiodeskriptionen oder Transkriptionen zur besseren Verständlichkeit
Zusätzlich ist die Veröffentlichung einer offiziellen Erklärung zur Barrierefreiheit erforderlich. Diese dokumentiert den aktuellen Stand der Umsetzung und beschreibt geplante Verbesserungsschritte. Zudem können Unternehmen eine Zertifizierung nach WCAG anstreben, um ihre Konformität offiziell nachzuweisen.
Die WCAG unterscheidet zwischen drei Konformitätsstufen:
- Level A: Grundlegende Barrierefreiheitsanforderungen werden erfüllt. Dies reicht jedoch heute nicht mehr aus, um gesetzliche Anforderungen zu erfüllen.
- Level AA: Ein höheres Maß an Barrierefreiheit wird gewährleistet und ist in vielen gesetzlichen Vorgaben der Standard.
- Level AAA: Höchste Anforderungen an Barrierefreiheit, die in der Praxis oft schwer vollständig umsetzbar sind.
Da die EU-Richtlinie 2019/882 auf Level AA als Mindeststandard verweist, ist eine Zertifizierung auf diesem Niveau notwendig, um rechtssicher zu sein. Eine Zertifizierung nach Level A allein reicht nicht aus. Erste Rechtssicherheit kann durch eine initiale Analyse und einfache Anpassungen geschaffen werden. Dadurch lassen sich die wichtigsten Barrieren beseitigen und eine solide Basis für zukünftige Optimierungen legen.
Welche Konsequenzen drohen bei Nichtbeachtung?
Bei Nichtbeachtung der Barrierefreiheitsanforderungen können ab dem 28. Juni 2025 Sanktionen und Bußgelder drohen. Die Durchsetzung erfolgt durch die zuständigen Landesbehörden, die auf Beschwerden reagieren und stichprobenartige Kontrollen durchführen.
Verstöße können mit Bußgeldern oder anderen Maßnahmen geahndet werden. Die genaue Höhe und Art der Strafen hängen von der jeweiligen nationalen Umsetzung ab. Zusätzlich haben Verbraucher, Behindertenverbände und andere Organisationen das Recht, Rechtsmittel einzulegen und auf die Einhaltung der Vorschriften zu pochen.
Es wird jedoch erwartet, dass die Behörden pragmatisch vorgehen und Unternehmen, die nachweislich erste Maßnahmen zur Barrierefreiheit ergreifen, positiv berücksichtigen. Ein schrittweiser Verbesserungsprozess kann also helfen, Sanktionen zu vermeiden.
Praxisnah Unterstützung bekommen
Wir bieten Ihnen als erfahrene Agentur praxisnahe Lösungen, die zu Ihrem Unternehmen passen:
- Schnelle Analyse: Wo steht Ihre Website aktuell?
- Individuelle Handlungsempfehlungen: Was sind die nächsten, machbaren Schritte?
- Umsetzungsbegleitung: Wir unterstützen bei Design, Technik und Struktur.
- Langfristige Betreuung: Regelmäßige Updates und Anpassungen für nachhaltige Konformität.
Barrierefreiheit wird in den kommenden Jahren immer wichtiger – nicht nur aus regulatorischer Sicht, sondern auch, um eine größere Zielgruppe zu erreichen und die eigene Marke zugänglicher zu machen. Wer sich jetzt darum kümmert, spart sich später Stress und potenzielle Umbaumaßnahmen unter Zeitdruck.
Lassen Sie uns einen Blick auf Ihre Website werfen!
Jenny Schmidt
Weiterführende Informationen & Quellen
- EU-Richtlinie 2019/882 (European Accessibility Act)
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32019L0882 - Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) – Bundesministerium für Arbeit und Soziales
https://www.bmas.de/DE/Service/Gesetze-und-Gesetzesvorhaben/barrierefreiheitsstaerkungsgesetz.html - Bundesfachstelle Barrierefreiheit – Informationen zum BFSG
https://www.bundesfachstelle-barrierefreiheit.de/DE/Fachwissen/Produkte-und-Dienstleistungen/Barrierefreiheitsstaerkungsgesetz/barrierefreiheitsstaerkungsgesetz_node.html - Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) – W3C
https://www.w3.org/WAI/standards-guidelines/wcag/ - WAVE Web Accessibility Evaluation Tool (automatische Prüfung von Websites)
https://wave.webaim.org/ - Lighthouse – Google Tool zur Barrierefreiheitsprüfung
https://developer.chrome.com/docs/lighthouse/overview/ - Erläuterungen zur WCAG-Zertifizierung (Level A, AA, AAA)
https://www.w3.org/WAI/WCAG21/quickref/